EN HIVER
Ludwig Dressler, Ossian Fraser, Sophie Schweighart
5. Dezember 2025 - 7.Februar 2026
OPENING 4 Dezember | 6 – 9pm
Die Ausstellung EN HIVER versammelt drei Künstler*innen, deren Arbeiten eine besondere Sensibilität für Schwere, Fragilität und das Flüchtige des Augenblicks eint. Im Zentrum steht die Reflexion über Zeit, Erinnerung und die fragile Präsenz menschlicher Erfahrung.
In den großformatigen Ballonarbeiten von Ossian Fraser begegnet uns eine paradoxe Materialität: Monumentale, bis zu vier Meter große Ballons – schwarz, schwerelos, fast kosmisch – besetzen den öffentlichen Raum. Über dem Dach des Bayerischen Hofes in München schwebend, hinterlassen sie in nächtlichen Fotografien eine Erscheinung, die zugleich massiv und fragil wirkt. Sie erinnern an Himmelskörper, an schwarze Sonnen, an Objekte, die sich den Kategorien des Irdischen entziehen.
In der Galerie wird The Subject Of The Air als Triptychon aus unterschiedlichen Perspektiven gezeigt. Durch diese dreifache Setzung öffnet sich ein Raum, der an eine andere Dimension erinnert: Die Wahrnehmung wird irritiert und zugleich erweitert, als ließe sich der Ballon nicht in einer einzigen Ansicht erfassen, sondern entfalte seine Präsenz erst im Zusammenspiel der drei Blickwinkel. So entsteht ein Bildkörper, der zwischen Realität und Unbekanntem schwebt.
Eine weitere Arbeit zeigt einen weißen Wetterballon, der über der Gruft Heinrich Heines im Dichtergarten Münchens schwebt – wie ein überdimensioniertes, rätselhaftes Ei, das im Moment zwischen Abheben und Fallen eingefangen ist.
Frasers Balloninstallationen fungieren als Metaphern des Übergangs: Sie bewegen sich zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, zwischen physischer Schwere und metaphysischer Entgrenzung. Sie markieren Orte, ohne sich an sie zu binden – stille Botschafter eines Universums, das zugleich unergründlich und berührbar erscheint.
Sophie Schweighart richtet sich mit der Serie Nothing is real but okay ihren Blick auf einen Ort, der zugleich banal und zutiefst menschlich ist: die Scheinbushaltestelle – eine Pseudohaltestelle, wie sie in vielen Pflegeeinrichtungen für demenzkranke Menschen installiert wird. Ausgestattet mit Haltestellenschild, fiktivem Fahrplan und manchmal einer einfachen Sitzbank, imitiert sie den Alltag, ohne ihn zu erfüllen. Kein Bus hält jemals hier, keine Fahrt beginnt, und doch öffnet sich an diesen Orten ein Raum, der einer inneren Wahrheit näherkommt als jede funktionierende Infrastruktur.
Für Menschen mit Demenz, deren Kurzzeitgedächtnis brüchig wird und deren Gegenwart immer stärker von Erinnerungen durchflutet ist, besitzen diese Haltestellen eine tröstliche Logik. Viele von ihnen möchten zurück in eine vertraute Umgebung, an den Ort ihrer Kindheit, oder sie folgen alten Ritualen, die tief in ihrem Körpergedächtnis verankert sind. Die Scheinhaltestelle bietet ihnen genau das, was die Wirklichkeit nicht mehr bereithält: ein Versprechen von Heimkehr. Oft genügt ein kurzer Moment des Wartens, damit sich die Unruhe legt – und der ursprüngliche Grund des Wegwollens sich im Nebel der Erinnerung verliert. Manche kehren danach ins Heim zurück im festen Glauben, eine Reise angetreten oder sogar vollendet zu haben.
Schweighart nimmt diese paradoxe Geste – die Haltestelle als Schwelle zwischen Fiktion und existenzieller Wahrheit – zum Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Arbeiten. Ihre Fotografien und installativen Setzungen machen sichtbar, wie sich an diesen Orten Zeit, Identität und Raum verschieben. Die Scheinhaltestelle wird zum poetischen Brennpunkt eines Zustands, in dem Vergangenheit gegenwärtig wird und die Gegenwart sich sanft auflöst. Schweighart fotografiert die Haltestellen im Nebel oder in der Nacht um eine entrückte und stimmungsvolle Atmosphäre zu schaffen.
Indem Schweighart die unscheinbare Architektur dieser Orte ins Zentrum rückt, zeigt sie die Zerbrechlichkeit menschlicher Orientierung und die zarte, oft übersehene Sehnsucht nach Heimat, Zugehörigkeit und Halt. Ihre Arbeiten eröffnen einen Raum des stillen Mitgefühls: ein Nachdenken darüber, was Erinnerung eigentlich ist – und wie wir Menschen darin begleiten, wenn sie beginnt zu zerfallen.
Ludwig Dressler untersucht die alltäglichen Gesten des digitalen Zeitalters: das Wischen, Zoomen und Scrollen über Smartphone-Bildschirme. Seine Leuchtkästen und Fotografien isolieren diese flüchtigen Handlungen und überführen sie in eine ungewohnte, verdichtete Materialität, die das Ephemere sichtbar und körperlich spürbar macht.
Die glatten, spiegelnden Oberflächen der pinch_inverted Serie erzeugen eine verzerrte Spiegelung des Betrachtenden und des umgebenden Raumes. Das Umfeld erscheint darin gebrochen, gedehnt oder verschoben – als blicke man in eine digitale Membran, die die Wirklichkeit in Fragmente zerteilt und zugleich zurückwirft. Der Raum selbst scheint in die Geste hineingezogen zu werden.
Gleichzeitig verliert sich die Hand, die die digitale Bewegung ursprünglich ausführt, im Inneren dieser Oberflächen. Sie verschmilzt mit ihnen, wird zur unscharfen Spur, zu einem Zwischenwesen aus Körper und Gerät. Die Grenze zwischen Mensch und Technologie verwischt; die Hand wird zum Teil des Systems, das sie bedient, als wäre sie in die digitale Oberfläche hineingewandert.
Besonders eindrucksvoll zeigt sich dies in Dresslers dreidimensionalen Fotografien: Durch die Geste der Fingerbewegung wölbt sich auch das Fotopapier selbst. Die physische Oberfläche beginnt sich zu biegen, als folge sie der digitalen Bewegung. Die Geste schreibt sich als plastische Deformation in das Bild ein und macht sichtbar, wie eng Körper und Medium miteinander verknüpft sind.
So verwandelt Dressler die flüchtigen Mikrogesten des Alltags in fragile Skulpturen aus Licht, Reflexion, Verzerrung und Bewegung. Seine Arbeiten zeigen, wie tief wir in unsere digitalen Handlungen eingebettet sind – und wie still, fast unmerklich, sich dabei auch unser eigenes Bild verändert. Eine Arbeit der Serie pinch_ wurde von der Sammlung für Zeitbasierte Medien der Pinakothek der Moderne (Sammlungsleiterin Franziska Kunze) erworben und wird dort im Rahmen einer Gruppenausstellung im Juli 2025 ausgestellt.
Ludwig Dressler (geb. 1998, München) untersucht die Auswirkungen digitaler Medien auf menschliche Wahrnehmung und Verhalten. Seine Arbeit verbindet Fotografie, Video und 3D-Animation und vereint technische Präzision mit ästhetischer Klarheit. Oft setzt er seinen eigenen Körper – insbesondere seine Hand – ein, um die Spanung zwischen physischer Präsenz und technologischer Abstraktion zu erforschen.
Ossian Fraser (geb. 1983, Edinburgh) fängt flüchtige Momente ein, indem er mit Materialien wie Wasser, Staub und Licht arbeitet. Seine ortsspezifischen Interventionen im urbanen wie im natürlichen Raum offenbaren das verborgene Potenzial alltäglicher Situationen. Frasers Werk verbindet Skulptur, Performance und Fotografie und dokumentiert kurze, doch eindringliche Kompositionen, die das Verhältnis zwischen Architektur, Natur und der Flüchtigkeit des Augenblicks untersuchen.
Sophie Schweighart (geb. 1991, München) ist Medienkünstlerin und verbindet filmische mit physischer Realität. Ihre interaktiven Arbeiten hinterfragen Wahrnehmung und Machtstrukturen, indem sie die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Performance auflösen. Schweigharts Installationen und Performances fordern dazu auf, etablierte Ordnungen kritisch zu betrachten. Sie vereint narrative Tiefe mit räumlicher Präsenz und schafft so neue Formen der Interaktion.