Physarum polycephalum (P.p.) entzieht sich den herkömmlichen Kategorien. Als Schleimpilz agiert er situationsabhängig als Ein- oder Vielzeller. Seine Fähigkeit, nicht-hierarchische Netzwerke zu bilden, die sowohl anpassungsfähig als auch erfahrungsbasiert sind, eröffnet neue Perspektiven auf die Natur von Wissen und Erinnerung. Neue Erfahrungen werden gespeichert und vergangene abgerufen. Die mythologische Dimension der Ausstellung verwebt sich mit dem Archetyp der Hexe und ihrem magischen Vertrauten. Nach der skandinavischen Folklore des 16. Jahrhunderts verkauften Hexen einen Teil ihrer Seele, um einen magischen Begleiter zu erschaffen, oft in Gestalt eines Hasen. In einer Welt, in der Glück begrenzt war, musste man es jemand anderem nehmen, um selbst daran teilzuhaben. Der Hase stahl im Auftrag der Hexe das (Milch)-Glück und erbrach es in Momenten der Gier als Schleim (P.p.). Diese kulturellen Überlieferungen verschmelzen in der Abschlussausstellung Enya Burgers mit modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Schleimpilz. Dadurch entstehen Ausgangspunkte für Reflexionen über die Erkenntnistheorie. Welche Verbindungen werden zwischen historischen und zeitgenössischen Perspektiven sichtbar? Die ausgestellten Werke bewegen sich an der Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Untersuchung und mythologischer Erzählung. P.p. mit seiner Widerstandsfähigkeit gegenüber einer simplen Klassifizierung, fordert die konventionellen Machtstrukturenin der Wissensproduktion heraus. Die eingebetteten kulturellen Narrative laden dazu ein, die Grenzen traditioneller Wahrnehmung zu hinterfragen.
Enya Burger (*1996, lebt und arbeitet in Düsseldorf) absolvierte 2024 ihr Studium an der Kunstakademie Düsseldorf in der Klasse von Prof. Gregor Schneider. Zuvor studierte sie bei Prof. Marcel Odenbach, der sie zur Meisterschülerin ernannte. Im Jahr 2024 wurde Burger mit dem 78. Internationalen Bergischen Kunstpreis ausgezeichnet.
Enya Burgers interdisziplinäre Praxis umfasst Videokunst, immersive Skulpturen und Installationen, die gesellschaftliche Normen und Machtstrukturen dekonstruieren und dabei das Konzept des „female gaze“ etablieren. Beeinflusst von Naturwissenschaften und theoretischen Diskursen setzt sich Burgers Arbeit kritisch mit gesellschaftlichen Themen sowie der globalen Ideologie des Fortschritts auseinander und schlägt eine Brücke zwischen analogen und digitalen Realitäten. Ausgehend von ihren Erfahrungen als queere Frau untersucht Burger Gender und Technologie, insbesondere im Hinblick auf digitale Inklusion und diskriminierende Praktiken innerhalb unserer digitalisierten Alltagspraktiken und Mediennutzung.