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Enya Burger
guided by memories

December 5, 2024 – February 15, 2025


In guided by memories nutzt Enya Burger den Schleimpilz Physarum polycephalum als zentrales künstlerisches Medium. Dieser zwischen Pilz, Tier und Pflanze angesiedelte Organismus bildet komplexe Netzwerke, reagiert adaptiv auf seine Umgebung und veranschaulicht das Zusammenspiel von natürlichen und digitalen Systemen sowie Konzepte wie Intelligenz und Anpassungsfähigkeit. Obwohl der Schleimpilz erst seit etwa 15 Jahren intensiv erforscht wird, findet er bereits seit dem 16. Jahrhundert in nordischen Mythen Erwähnung, die seinen Entstehungsprozess als magisch beschreiben. Burger nutzt diesen Organismus, um wissenschaftliche und mythologische Ansätze mit technologischen Realitäten zu verbinden, bestehende Strukturen zu hinterfragen und neue Perspektiven auf das Verhältnis von Mensch, Umwelt sowie auf soziale und urbane Gefüge aufzuwerfen.

Ein Inkubator kultiviert und überwacht einen Schleimpilz, dessen Wachstum in Echtzeit erfasst wird. Die Daten werden verarbeitet und modulieren Klänge, die über Lautsprecher in umgebauten Butterfässern wiedergegeben werden. Drahtlos übertragen erscheinen diese Daten im Labyrinth, wo sie als klangliche Repräsentationen des biologischen Prozesses hörbar werden. Der Aufbau des Labyrinths erinnert an wissenschaftliche Experimente in Petrischalen und verweist auf die Verschmelzung von Technologie und natürlichen Systemen in der Forschung. Diese Klänge erweitern die visuelle Erfahrung um eine akustische Dimension und verstärken das kollektive Raumgefühl. Burger bezeichnet dies als „Sonifikation einer mythologischen Erinnerung“ und verbindet verschiedene Wahrnehmungsebenen, sodass die Kunstbetrachtung zu einer körperlich-sinnlichen Erfahrung wird. Dies intensiviert die Reflexion über die Wahrnehmung von Intelligenz und Technologie, indem sich die Installation nicht nur ins kognitive, sondern auch ins körperliche Gedächtnis einprägt.

Der Schleimpilz hat sich in der Wissenschaft als Modellorganismus etabliert, da er bemerkenswerte Fähigkeiten zur Problemlösung zeigt. Durch die Speicherung und den Abruf von Erinnerungen, wie der Titel der Ausstellung verdeutlicht, kann er komplexe Labyrinthe durchqueren, Sackgassen identifizieren und sich daraufhin neu ausrichten. Seine Fähigkeit, unbekannte und effiziente Wege zu erschließen, wird in Experimenten genutzt, um Mechanismen der Entscheidungsfindung und adaptive Verhaltensstrategien besser zu verstehen. Diese kognitiven Fähigkeiten bieten Einblicke in einfache Organismen und dienen als Inspiration für die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und selbstorganisierenden Systemen.

Weitere Werke in der Ausstellung stammen aus den Serien Sample Residue, Slime is Memory und den Lupenarbeiten. Sample Residue beschäftigt sich mit Machtstrukturen in der hegemonialen Wissensproduktion und hinterfragt digitale Inklusion sowie deren gesellschaftliche Auswirkungen. Die Gravuren auf Petrischalen und Probenhaltern thematisieren die Entstehung von Schleim und beinhalten eine historische Geschlechterzuschreibung, bei der Frauen für das Auftreten von Schleim verantwortlich gemacht und mit Hexerei in Verbindung gebracht wurden. Diese Objekte vereinen wissenschaftliche und mythologische Elemente und dienen nicht der naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnung, sondern der künstlerischen Forschung, die verschiedene Wissensformen vereint.

In Slime is Memory untersucht die Künstlerin poetisch die metaphorischen und physischen Eigenschaften des Schleimpilzes. Der Begriff ,Slime’ wird mit Anpassungsfähigkeit, unsichtbarer Präsenz, Verfall und Erinnerung assoziiert. Der Schleimpilz wird als Organismus dargestellt, der zwischen Leben und Tod existiert und gleichzeitig kollektiv-intelligent sowie chaotisch und widerlich ist. Die Arbeit präsentiert den Schleimpilz als Quelle des Wissens und der Erinnerung, der das Spannungsfeld zwischen biologischer Existenz und digitalen Systemen auslotet. Die intensive gelbe Farbe entspricht dem Schleimpilz selbst, den die Künstlerin direkt mit einem Pinsel aus der Petrischale auf das Papier übertragen hat.

Die Lupenarbeiten bestehen aus Aluminiumplatten mit UV-Druck, und in tiefen Rahmen eingefasste Displays. In der Arbeit Milk Hare befindet sich ein Lochausschnitt mit angebrachter Lupe, der den Blick auf ein Display freigibt, das mythologische Szenen eines ,Milch-Hasen’ zeigt, der sich aus Gier übergibt und dabei Schleim produziert. Die UV-Drucke stellen mikroskopische Aufnahmen des Schleimpilzes dar. Die Werke verschieben Größenverhältnisse, machen Unsichtbares sichtbar und betonen die Filterwirkung von Wahrnehmung durch optische Werkzeuge, Technologien und kulturelle Narrative. Sie verbinden naturwissenschaftliche und mythologische Erzählungen und thematisieren das Durchsehen im wörtlichen und metaphorischen Sinne. Dabei beleuchten sie verborgene Dimensionen von Wachstum und Transformation – den kontinuierlichen Wandel in Natur, Gesellschaft und in der Wissensproduktion. Der empiristische Philosoph John Locke (1632–1704) argumentierte, dass Wissen auf Sinneseindrücken beruht, unterschied jedoch zwischen primären Qualitäten, die unabhängig vom Betrachter existieren, und sekundären, die erst durch die Wahrnehmung entstehen. Damit zeigte er, dass Wahrnehmung nicht die Realität selbst vermittelt, sondern nur deren Repräsentation. Mit den Lupenarbeiten hinterfragt die Künstlerin die Hierarchie zwischen wissenschaftlichem und mythologischem Wissen, indem sie beiden gleichermaßen Bedeutung für die Konstruktion von Realität zuschreibt und postuliert, dass Erkenntnisformen nicht auf ,Wahrheit’ und ,Fiktion’ reduziert werden können.

Enya Burger hinterfragt in ihrer transdisziplinären Praxis die spätkapitalistische Ideologie des Fortschritts sowie die Vorstellung, dass technologische Innovationen als notwendig und unaufhaltsam gelten. Wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre praktischen Anwendungen haben die Menschheit nur bedingt vorangebracht und führten häufig zu verheerenden Ergebnissen, die mitverantwortlich für globale Ungleichheit und Krisen sind. Der Schleimpilz wird dabei zum Paradigma alternativer Wissenssysteme, da er neue Ansätze für Anpassungsfähigkeit und Transformation bietet. Die Ausstellung verdeutlicht, dass neben rationaler Erkenntnis auch die Offenheit für mythologisches Wissen sowie das Unvorhersehbare notwendig sind, um nachhaltige Lösungen für die drängenden Herausforderungen der Gegenwart zu entwickeln. Inspiriert von der außergewöhnlichen Erinnerungskapazität des Schleimpilzes erinnert guided by memories an die Bedeutung von Erinnerungen – sowohl biologischer als auch kultureller Natur – als fundamentale Grundlage der Wissensproduktion.


– Text von Teresa Retzer

                                                                                                                                                                                                   
Enya Burger (*1996, lebt und arbeitet in Düsseldorf) absolvierte 2024 ihr Studium an der Kunstakademie Düsseldorf in der Klasse von Prof. Gregor Schneider. Zuvor studierte sie bei Prof. Marcel Odenbach bis 2021 als Meisterschülerin. Im Jahr 2024 wurde Burger mit dem  78. Internationalen Bergischen Kunstpreis ausgezeichnet.

Ihre Arbeiten wurden unter anderem in der Sammlung Philara (2023), Kunstmuseum Solingen (2024), Philipp von Rosen Galerie und in der New Positions Art Cologne (2024) ausgestellt.
                                                                                                                                                          



















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